Das Traktat Sanshiliu Ji Miben Bingfa
(Die 36 Strategeme: Das geheime Buch der Kriegskunst)

Der Katalog der 36 Strategeme ist nicht irgendeine beliebige neuzeitliche Zusammenstellung von Redewendungen, sondern ein Auszug aus einem Militärtraktat. Offenbar ist der namentlich nicht bekannte Verfasser des Traktats von Zhao Benxue oder einem seiner Schüler beeinflusst. Zhao Benxue (1465-1557) war ein Militärtheoretiker der Ming-Zeit (1368-1644). "Unter allen in der Ming- und Qing-Zeit [1368-1911] veröffentlichten Werken ragt eines besonders heraus: Sanshiliu Ji. Miben Bingfa (Die 36 Strategeme. Geheimbuch der Kriegskunst)." Das schreibt die bekannte französische Sinologin Valérie Niquet unter dem Stichwort "Militärstrategie" in Das grosse China-Lexikon (hrsg. von Brunhild Staiger, Stefan Friedrich und Hans-Wilm Schütte unter Mitarbeit von Reinhard Emmerich. Eine Veröffentlichtung des Institut für Asienkunde Hamburg, Primus Verlag, Darmstadt 2003, S. 498). Zum ersten Mal erwähnt hat das Traktat ein gewisser Shu He in der Pekinger Guangming Ribao (Licht-Tageszeitung) vom 16. September 1961 in einem Beitrag mit dem Titel "Guanyu ‚sanshiliu ji‚ zou wei shang ce'" ("Betreffend ‚Von den 36 Strategemen ist wegrennen das beste'"). Shu He berichtet, er habe das Traktat 1941 in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, in einem Strassenladen entdeckt. 1962 verbreitete das Archiv des Politischen Instituts der chinesischen Volksbefreiungs-Armee dieses Traktat in einer von Wu Gu besorgten internen, der allgemeinen Öffentlichkeit also nicht zugänglichen, Ausgabe. Eine weitere, in schöner Kalligraphie gestaltete interne 146seitige Ausgabe erschien unter dem Titel Sanshiliu Ji Jin Yi ([Das Traktat] Die 36 Strategeme in moderner [chinesischer] Übersetzung) im Jahre 1973, also mitten in der "Kulturrevolution" (1966-1976). Zu Lebzeiten Maos (gest. 1976) war das Traktat über die 36 Strategeme in der Volksrepublik China Geheimsache. In der Bibliothek der Beijing-Universität (Bei-Da) gelang es Harro von Senger in den Jahren 1975-77 nie, die im Bibliothekskatalog aufgeführte Ausgabe der Volksbefreiungsarmee aus dem Jahre 1962 auszuleihen. Sie war, so hiess es bei jeder neuen Nachfrage, "anderweitig verliehen". Erst 1979 brachte der Jiliner Volksverlag eine der breiten Öffentlichkeit zugängliche, von Wu Gu edierte Ausgabe des Traktats Die 36 Strategeme heraus. Das erste chinesischsprachige Buch über die 36 Strategeme war zuvor schon 1969 in Hongkong erschienen. Die erste listkundliche Würdigung des Traktats Die 36 Strategeme in einer westlichen Sprache veröffentlichte Harro von Senger in einem ganzseitigen Artikel am 14. Januar 1977 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Von ihm stammt auch das erste westliche Buch über das Traktat Die 36 Strategeme. Es erschien unter dem Titel Strategeme im Scherz Verlag, Bern/München/Wien, 1. gebundene Aufl. 1988, 11. gebundene Aufl. 2000.

Das Traktat Sanshiliu Ji Miben Bingfa enthält nicht bloss den aus 138 Schriftzeichen bestehenden Katalog der 36 Strategeme. Vielmehr ist es in 3 Teile gegliedert, und zwar in einen kurzen einleitenden Text, in einen Mittelteil und in ein Schlusswort. Leider ist das Schlusswort mit zusammenfassenden strategemtheoretischen Erörterungen nur bruchstückhaft überliefert. Der grössere Mitteilteil besteht aus 36 Abschnitten. Betitelt sind sie mit

- diyi ji: das erste Strategem
- di'er ji das zweite Strategem


usf. bis zum 36. Strategem. Nach diesem Titel folgt in jedem der 36 Abschnitte der jeweilige aus 4 oder 3 Schriftzeichen bestehende Strategemausdruck. Die Zusammenstellung dieser in den Titeln der 36 Abschnitte aufgeführten Strategemausdrücke ergibt den Katalog der 36 Strategeme. An den jeweiligen Titel schliesst sich in jedem der 36 Abschnitte ein recht abstrakter, meist auf das Yijing (I Ging) Buch der Wandlungen verweisender Kommentar.

Siehe hierzu Harro von Senger: The Idea of Change as a Fundament of the Chinese Art of Cunning, in: Notions et perceptions du changement en Chine: textes présentés au 9e Congrès de l'Association européenne d'études chinoises, Mémoires de l'Institut des hautes études chinoises Collège de France, Paris vol. 36 1994, S. 21-28

Abgerundet wird der jedem Strategem gewidmete Abschnitt von einer Erläuterung. Sie besteht a) aus knappen theoretischen Ausführungen, die sich auf das betreffende Strategem beziehen und b) aus einem Kommentar zu diesen Ausführungen, in dem anhand von Beispielen aus der chinesischen Geschichte die konkrete Anwendung des jeweiligen Strategems und damit auch die diesem zugrundeliegende Theorie veranschaulicht werden.

Weitere Informationen über das Traktat Die 36 Strategeme in: Harro von Senger: Strategeme Band 1, 11. Auflage Scherz Verlag Bern 2000, S. 23, 27-28.

 

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HARRO VON SENGER
Dr phil. Dr. iur., RA

e-mail: info@36strategeme.ch

Professor für Sinologie im Ruhestand
an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau
Sinologie-Webseite der Albert-Ludwigs-Universität :
seit SS 2009 - vor SS 2009

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